Bei uns in der Firma ist eine neue „Du-Kultur“ entstanden, ausgelöst durch unseren neuen Geschäftsführer, der, kaum war er da, verkündet hat, daß alle im Unternehmen ihn duzen dürften. Wer das nicht möchte, dürfe aber natürlich gern beim „Sie“ bleiben.
Daraufhin kam es zu einer regelrechten „Ich biete Ihnen das Du an“-Welle, bei der sich vor allem gewisse Führungskräfte schwer taten, die das „Sie“ bis dahin als eine Art Schutz vor respektlosem Verhalten ihrer Mitarbeiter/-innen ihnen gegenüber empfanden. Die „normalen“ Mitarbeiter waren oft ohnehin schon lange per Du, weswegen es für sie in der Regel kein Problem damit gab.
Nun gehöre ich allerdings zu den ältesten Mitarbeiterinnen überhaupt. Und damit meine ich nicht mein Dienstalter, sondern das, das sich aus meinem Geburtsdatum ableitet. Ich war bisher bei weitem mit den wenigstens per Du – oft, weil ich mit den Leuten wenig zu tun hatte, aber auch, weil ich einfach den passenden Moment verpaßt zu haben schien.
Umgekehrt trauen sich offenbar auch viele nicht, mir das Du anzubieten – entweder weil ich eine Frau bin (und sie ein Mann sind), weil es ihnen egal ist, oder weil ich eben älter bin. Und so scharwenzeln ganz viele in der Firma und ich immer noch umeinander herum, nicht wissend, wie wir das mit dem Du miteinander geklärt kriegen. Ganz extremes Beispiel: einer unserer Prokuristen, den ich sehr gut leiden kann, und er mich auch, wenn ich das richtig sehe. Er ist aber a) ein Mann, b) jünger als ich und c) ein sehr hoher Hierarch im Haus. Wie sollen wir das denn bittschön geregelt kriegen? Da beißt sich der [hier Tier Ihrer Wahl einsetzen!] doch in den Schwanz! Ich kann ja unmöglich meinem Chef-Chef-Chef das Du anbieten! (Er ist drei Stufen über mir angesiedelt.) Und er? Hat vielleicht Hemmungen, weil ich älter bin als er. Und – ganz doof – wir haben fachlich so gut wie gar nichts miteinander zu tun. Gelegenheiten zu einer Klärung gibt es also quasi gar keine. (Das Problem der persönlichen Ansprache de facto aus demselben Grund allerdings auch nicht…) Möglicherweise sieht er aber auch genau deswegen gar keinen Bedarf an einer Klärung.
Ich habe jetzt aber angefangen, nach und nach allen, mit denen ich öfter Kontakt habe, und mit denen ich mich auch wirklich duzen möchte(!), das „Du“ explizit anzubieten. Und siehe da: bisher haben sich alle darüber gefreut! Ich sollte mein Vorhaben also doch wohl zu Ende bringen und mir viel öfter ein Herz fassen. Vielleicht erlebe ich ja noch weitere schöne Überraschungen oder freudige Gesichter.