Frau Schletterer singt nicht mehr

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"Frau H." oder "Das Afrika-Heft"
17.11.2021 15:38

Gestern habe ich Ihnen ja von meiner Kunstlehrerin erzählt, die mir in meiner Schulzeit das Leben nicht immer schön gemacht hat.
Da mag man jetzt einwenden, daß es wohl kaum als Lebensbürde betrachtet werden kann, wenn man als Kind angewiesen wurde, mit Wasserfarben ein Bild zu malen.
Ich hatte Frau H. allerdings in einem Jahr auch in Erdkunde – ein Fach, für das sie offiziell wohl qualifiziert war, das sie aber jahrzehntelang nicht mehr unterrichtet hatte. Da aber eine Zeitlang Erdkundelehrermangel an unserer Schule herrschte, mußte sie bei uns ran.
In jenem Jahr behandelten wir das Thema „Afrika“. Und wenn ich mich recht erinnere, war das tatsächlich das ganze Schuljahr über unser einziges Thema. Wenn Sie jetzt glauben, dann müsse ich ja unglaublich viel über Afrika wissen, dann irren Sie. Natürlich sprachen wir über die unterschiedlichen Klimazonen des Kontinents, und was das für die Erdbeschaffenheit, die Agrarkultur usw. bedeutete. Aber wie es um Frau H.s Fähigkeiten als Lehrerin für Erdkunde tatsächlich bestellt war, erahnen Sie sicher, wenn ich Ihnen jetzt erzähle, daß wir eine Zeitlang die Aufgabe hatten, jeden Tag aus der Tageszeitung alle Artikel über Afrika auszuschneiden und in ein Schulheft zu kleben. Und diese Hefte sammelte sie regelmäßig ein und benotete sie.
Ich weiß noch ganz genau, wie ich damals für mein Heft eine schlechtere Note als meine Schulfreundin Elisabeth erhielt, nur weil meine Artikel nicht ganz so sauber ausgeschnitten waren wie die ihren. Das war das erste Mal, daß wir Schüler den Aufstand probten. Es wurde ein außerordentlicher Elternabend einberufen, und Elisabeth und ich durften dabei sein, als Frau H. von den versammelten Eltern um Rechenschaft ersucht wurde. Meiner Mutter war das damals hochnotpeinlich, denn sie stand auf dem Standpunkt, ich hätte meine Artikel ja einfach etwas sorgfältiger ausschneiden können. Aber da im Grunde alle der Meinung waren, daß das keine Rolle spielen durfte, wurde Frau H. dem ganzen Unverständnis und der Wut der Eltern ausgesetzt. Heute würde man das einen Shitstorm nennen, was da auf die Frau herunterging. Fast(!) tat sie mir ein bißchen leid. Das Ende vom Lied war aber tatsächlich, daß meine Note nach oben korrigiert und die Hefte mit den Afrika-Artikeln „außer Betrieb“ genommen wurden.
Was ich damals sehr bedauerte, war, daß ich an jenem Elternabend den ganzen Umfang des Irrsinns dieser Hausaufgabe nicht an einem besonders schönen Beispiel hatte darlegen dürfen: meine Klassenkameradin Désirée hatte nämlich in Ermangelung eines Afrika-Zeitungsartikels (es war ja nicht jeden Tag was darüber drin) ein Foto von Roberto Blanco eingeklebt und es beschriftet mit dem Hinweis, der Abgebildete sei der Außenminister von Burkina Faso (Abb. ähnlich), und er sei jüngst auf Staatsbesuch in Burundi (Abb. ähnlich) gewesen. Und: Frau H. hat den Quatsch nicht einmal bemerkt!!
So – wat sagense nu‘?

 

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